210.629 (23S) Macht und Gewalt

Sommersemester 2023

Anmeldefrist abgelaufen.

Erster Termin der LV
02.03.2023 14:00 - 16:00 HS B On Campus
... keine weiteren Termine bekannt

Überblick

Lehrende/r
LV-Titel englisch Power and Violence
LV-Art Vorlesung
LV-Modell Präsenzlehrveranstaltung
Semesterstunde/n 2.0
ECTS-Anrechnungspunkte 4.0
Anmeldungen 61
Organisationseinheit
Unterrichtssprache Deutsch
LV-Beginn 02.03.2023
eLearning zum Moodle-Kurs
Seniorstudium Liberale Ja

Zeit und Ort

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LV-Beschreibung

Intendierte Lernergebnisse

Erarbeitung eines differenzierten und kritisch-reflexiven, mithin philosophischen Zugangs zum Themenkreis Recht und Politik, dem Verhältnis beider zu Ethik/Moral, zu Möglichkeiten und Grenzen, politische Verhältnisse deliberativ zu gestalten und die Frage, ob und inwieweit legalisierte Gewalt als Funktionselement eines (selbst in höchstem Maße liberal-) rechtsförmig organisierten politischen Gemeinwesen gelten kann. 

Lehrmethodik

Vortrag, Diskussionen.

Inhalt/e

Auf den ersten Blick wirkt es oft so, als hingen Macht und Gewalt eng zusammen. Denken Sie nur an die Bilder protestierender Menschen im Iran oder in Afghanistan (gegen massive und systematische Diskriminierung von Frauen) Ende 2022. Die Staatsgewalt (der Begriff selbst ist durchaus aufschlussreich) setzte Wasserwerfer, Schlagstöcke und andere Waffen ein, verschleppte Protestierende an Stätten der Folter und des Mordens (jedenfalls im Iran) und vollzog auch öffentliche Hinrichtungen (ebendort). Dann gibt es aber auch gewaltförmige Handlungen einzelner, z. B. innerfamiliär oder auch im öffentlichen Raum, wenn etwa jemand auf dem Gelände einer Schule um sich bzw. Menschen erschießt, vor einer Synagoge bzw. in deren Umfeld (09.10.2019), einem kurdischen Gemeindezentrum (Paris, 23.12.2022) oder vor einem Pub (Merseyside, 24.12.2022). Aber ist nicht auch ein/e bewaffnete/r Gewalttäter/in im Moment etwa des Herumschießens und Tötens von Menschen mächtig bzw. mag sich so fühlen?

Darüber, was überhaupt Macht sei, was Herrschaft und was Gewalt, gehen die Ansichten bekanntlich auseinander. Berühmt sind die begrifflichen Unterschiede bei Hannah Arendt und Elias Canetti. Für Arendt hat Macht nichts mit „Gehorsam“ und „Unterwerfung“, auch nichts mit einer Art Korrespondenz zwischen „Wille zur Macht“ und „Hang zur Unterwerfung“ zu tun. Vielmehr steht Macht für Arendt in Zusammenhang mit dem Gedanken der „Isonomie […], Organisation der Gleichen im Rahmen des Gesetzes“. (Arendt 2015, 42). Eben darin unterscheidet sie sich  für Arendt von Gewalt, die stets instrumentell sei, „Werkzeuge“ benötige, „Gewaltmittel“. Etwas „gewaltsam“ zu erreichen, könne auch einer einzelnen Person gelingen, „durch Geschrei, Spektakel Krawall“, wenn „[d]ie Mehrheit […] sich einfach […] weigert, von ihrer Macht Gebrauch zu machen und die Störer zu überwältigen“ (Arendt 2015, 43).
Elias Canetti verband die Unterscheidung zwischen „Gewalt und Macht“ hingegen mit Überlegungen zu Raum und Zeit. Zur Macht „gehört“ daher für Canetti „im Gegensatz zur Gewalt […] eine gewisse Verbreiterung, mehr Raum und auch etwas mehr Zeit“. (Vgl. Canetti 1980, 313.)

Während Arendt ihre Unterscheidung zwischen Macht und Gewalt in einem sehr konkreten Bezugsrahmen ansiedelte, der viel mit verrechtlichten und in sehr avancierten Weise demokratischen Strukturen zu tun hatte, bewegte sich Canettis Differenzierung auf einer grundsätzlicheren Ebene. In beiden Fällen geht es um politische Verhältnisse ganz allgemein. Letztlich spielt aber auch die Frage eine Rolle, wie optimistisch etwas wie Macht überhaupt bewertet werden kann. Anders gewendet: Lässt sich Macht domestizieren und sogar in einer menschenfreundlichen Weise nutzen oder kann es immer nur darum gehen, beides möglichst einzudämmen? Aber wird dann nicht wiederum jeder Machtverzicht dazu führen, die/den Verzichtenden selbst in die Mäuserolle zu manövrieren? Wir werden dem nachgehen, nicht allein in theoretischer, sondern durchaus sehr lebensweltlicher Perspektive.

 

Literatur

Adler, Alfred: Menschenkenntnis (1927). Hg. v. Jürg Rüedi (Alfred Adler Studienausgabe, hg. v. Karl Heinz Witte, Bd. 3; Göttingen 2007).

Agamben, Giorgio, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Aus dem Italienischen v. Herbert Thüring (2. Aufl. Frankfurt am Main 2002). 

Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, Totalitarismus (9. Aufl. München 2003). 

Arendt, Hannah: Macht und Gewalt (25. Aufl. München 2015). 

Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben. Neuedition, hg. v. Thomas Meyer (München 2020).

Baberowski, Jörg: Räume der Gewalt (Frankfurt am Main 2015). 

Benjamin, Walter: Zur Kritik der Gewalt, in: Benjamin, Walter: Aufsätze, Essays, Vorträge (= Benjamin, Walter, Gesammelte Schriften II, 1, hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser; Frankfurt am Main 1991) 179–203.

Canetti, Elias: Masse und Macht (113. – 115. Tsd. Frankfurt am Main 1980).

Chapoutot, Johann: Das Gesetz des Blutes. Von der NS-Weltanschauung zum Vernichtungskrieg (Darmstadt 2016).

Donhauser, Gerhard: Das Böse bleibt. Philosophische Bewältigungsversuche einer un-heimlichen Erbschaft (Wien 2021).

Donhauser, Gerhard: Das kälteste aller kalten Ungeheuer. Vom Staat und seinen Krisen (Wien 2019).

Donhauser, Gerhard: Kafkaesk? Staatliche Repression und literarische Widerständigkeit. In: Bstieler, Michaela et al. (Hg.): K[uns]t als gesellschaftskritisches Medium (Bielefeld 2018) 119 – 133.

Foucault, Michel: Geschichte der Gouvernementalität I. Die Geburt der Biopolitik. Vorlesung am Collége de France 1978–1979. Hg. v. Michel Sennelart. Aus dem Franz. v. Claudia Brede-Konersmann und Jürgen Schröder (Frankfurt am Main 2004).

Foucault, Michel: Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik. Vorlesung am Collége de France 1978–1979. Hg. v. Michel Sennelart. Aus dem Franz. v. Jürgen Schröder (Frankfurt am Main 2006).

Foucault, Michel, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Übers. v. Walter Seitter (Frankfurt am Main 1994).

Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Übers. v. Ulrich Raulff u. Walter Seitter (7. Aufl. Frankfurt am Main 1994).

Habermas, Jürgen: Über den internen Zusammenhang von Rechtsstaat und Demokratie, in: Menke, Christoph/Raimondi, Francesca (Hg.), Die Revolution der Menschenrechte. Grundlegende Texte zu einem neuen Begriff des Politischen (Frankfurt am Main 2011) 442 – 453.

Hobbes, Thomas: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Hg. u. eingeleitet v. Iring Fetscher, übers. v. Walter Euchner (6. Aufl. Frankfurt am Main 1994).

Pechriggl, Alice: Agieren und Handeln. Studien zu einer philosophisch-psychoanalytischen Handlungstheorie (Bielefeld 2018).

Sémelin, Jacques: Säubern und Vernichten. Die politische Dimension von Massakern und Völkermorden. Aus dem Französischen von Thomas Laugstien (Hamburg 2007). 

Staudigl, Martin (Hg.): Gesichter der Gewalt (Paderborn 2014).

Snyder, Timothy: Black Earth. Der Holocaust und warum er sich wiederholen kann. Übers. v. Ulla Huber u. Karl Heinz Siber (München 2015).

Sofsky, Wolfgang: Traktat über Gewalt (Fankfurt am Main 2005).

Prüfungsinformationen

Im Fall von online durchgeführten Prüfungen sind die Standards zu beachten, die die technischen Geräte der Studierenden erfüllen müssen, um an diesen Prüfungen teilnehmen zu können.

Beurteilungsschema

Note Benotungsschema

Position im Curriculum

  • Besonderer Studienbereich Besonderer Studienbereich Friedensstudien (SKZ: 900, Version: 05S)
    • Fach: Erweiterungsbereich (Freifach)
      • Weitere anrechnungsfähige LVs aus anderen Studienplänen ( 0.0h / 0.0 ECTS)
        • 210.629 Macht und Gewalt (2.0h VO / 4.0 ECTS)
  • Bachelorstudium Philosophie (SKZ: 541, Version: 20W.1)
    • Fach: Praktische Philosophie (Wahlfach)
      • 4.1 VO aus Praktische Philosophie ( 0.0h VO / 4.0 ECTS)
        • 210.629 Macht und Gewalt (2.0h VO / 4.0 ECTS)
          Absolvierung im 1., 2., 3., 4., 5. Semester empfohlen
  • Bachelorstudium Philosophie (SKZ: 541, Version: 20W.1)
    • Fach: Praktische Philosophie (Wahlfach)
      • 4.4 VO/PS/SE Praktische Philosophie ( 0.0h VO, PS, SE / 20.0 ECTS)
        • 210.629 Macht und Gewalt (2.0h VO / 4.0 ECTS)
          Absolvierung im 1., 2., 3., 4., 5. Semester empfohlen
  • Bachelorstudium Philosophie (SKZ: 541, Version: 20W.1)
    • Fach: Thematische Vertiefung (Wahlfach)
      • VO/PS/SE aus Geschichte der Philosophie/ Theoretische Philosophie/ Praktische Philosophie ( 0.0h VO, PS, SE / 12.0 ECTS)
        • 210.629 Macht und Gewalt (2.0h VO / 4.0 ECTS)
          Absolvierung im 6. Semester empfohlen
  • Bachelorstudium Philosophie (SKZ: 541, Version: 16W.1)
    • Fach: Praktische Philosophie (Wahlfach)
      • Praktische Philosophie ( 0.0h VO, PS, SE / 36.0 ECTS)
        • 210.629 Macht und Gewalt (2.0h VO / 4.0 ECTS)
          Absolvierung im 1., 2., 3., 4., 5., 6. Semester empfohlen
  • Masterstudium Philosophie (SKZ: 941, Version: 10W.1)
    • Fach: Praktische Philosophie und ihre Geschichte (Wahlfach)
      • Praktische Philosophie und ihre Geschichte ( 0.0h XX / 24.0 ECTS)
        • 210.629 Macht und Gewalt (2.0h VO / 4.0 ECTS)

Gleichwertige Lehrveranstaltungen im Sinne der Prüfungsantrittszählung

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