Beschreibung: |
Der Vortrag kreist um Robert Musils von seinem Biographen Karl Corino kolportierten, durch Tagebucheinträge belegbaren Wunsch, ein Mädchen zu sein: Dieser hat sich inhaltlich vor allem im Mann ohne Eigenschaften in entsprechenden Äußerungen des Protagonisten Ulrich einerseits sowie in der gesamten Konzeption der zweiteiligen Anlage des Romans um die inzestuöse Liebe zwischen den Geschwistern Ulrich und Agathe andererseits niedergeschlagen, doch scheinen Themen und Fragestellungen, die mit diesem Wunsch und damit auch mit den philosophischen wie psychoanalytischen Perspektiven zur Geschlechterproblematik in Zusammenhang stehen, auch sonst überall im Werk Musils durch. So habe Musil Franz Kaltenbeck zufolge mit seinen beiden unter dem Titel Vereinigungen zusammengefassten Novellen »einen in der Literatur allein dastehenden Diskurs über das unmögliche Verhältnis zwischen den Geschlechtern« geschaffen, dessen Formalisierung und Fruchtbarmachung zum Zwecke der psychoanalytischen Theoriebildung und Kur Lacan – der »ein abgenutztes Exemplar des Originals [sc. von Musils Mann ohne Eigenschaften] in der Bibliothek seiner Ordination« hatte – einen Großteil seiner Arbeits- und Lebenszeit gewidmet hat. Kaltenbecks vorsichtige Frage, ob Musil in den Vereinigungen »schon Einsichten in jene Logik gewinnen konnte, welche Lacan sechzig Jahre später schuf, um zu zeigen, dass Weiblichkeit und Männlichkeit in kein schriftlich fassbares Verhältnis treten«, ob er, Musil, also bereits vor Lacan das Reale als »das des Geschlechts-Unterschieds und der Nicht-Beziehung zwischen den Geschlechtern« erkannt habe, ließe sich unter Einbeziehung auch des späteren Romanwerks und insbesondere der Fortsetzung des Zweiten Buches mit der letzten Liebesgeschichte zwischen Ulrich und Agathe, so die meinen Vortrag aus dem Off befeuernde Überzeugung, ohne Weiteres mit Ja beantworten. Keineswegs ausgeschlossen also scheint es in der Tat, »dass einiges von Musils Wissen über die Liebesbeziehung von Agathe und Ulrich zu Lacan gedrungen ist«. Sehr unwahrscheinlich mutet es hingegen an, dass Musils Textur (nicht die der Vereinigungen und noch viel weniger die des Mann ohne Eigenschaften), wie Hartmut Böhme meint, »die absolute Vergegenwärtigung des Weiblichen in der Sprache des Gegengeschlechts« anstrebe und mit dieser »mythische[n] Bewegung« qua »Wiederholung des aristophanesischen Mythos in Platons Symposion« die dort firmierende ursprüngliche »Androgynität poetisch wiederherstellen« wolle. Solches Begehren würde ihn, Musil, unversehens von jenen Einsichten der spezifisch Lacan’schen Spielart der Psychoanalyse in das Verhältnis der Geschlechter und in die Rolle, die das Unbewusste darin spielt, entfernen, denen er sich doch gerade mit den erwähnten Texten gleichsam als Analytiker sui (und sui generis) recht unzweideutig angenähert zu haben scheint. »Es gibt«, so Julia Kristeva, »keine Analyse, wenn der Andere nicht ein Anderer ist, den ich liebe (mit der logischen Folge: den ich hasse), und zwar durch die Vermittlung ›dieses Mannes/dieser Frau ohne Eigenschaften‹, meines Analytikers.« Ob und gegebenenfalls solche »Eigenschaftslosigkeit« mit dem erwähnten Wunsch zu tun hat, will der Vortrag ergründen. |