Beschreibung: |
Die Frage der Selbstorganisation von Systemen ist ein ebenso altes (vgl. beispielsweise Kant
1790) wie disziplinübergreifendes Thema: Basierend auf systemtheoretischen Ansätzen stellt die Selbstorganisation in naturwissenschaftlichen Fächern wie der Physik(-ochemie) (z.B. Jantsch 1979, 1980, 1987; Kauffmann 2000; Nicolis und Prigogine 1977, 1989; Prigogine 1967, 1973, 1977, 1985; Prigogine und Stengers 1980, 1981, 1990, 1993), der
Geowissenschaften ( Chin & Phillips 2007, Elverfeldt 2010, Krug und Kuhl 2000, Phillips
1992a,b, 1999, 2003, 2006, 2007, 2011) und der Biologie (Maturana 1980, 1982; Maturana
und Varela 1980, 1982, 1984; Maturana et al. 1982), als auch in der Philosophie (Foerster
1960, 1987; Glasersfeld 1987, 1996), in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern wie der
Soziologie (Baecker 2002; Fuchs 1992, Luhmann 1987, 1997, 1998, 2006, 2008, Nessehi
2003) und den Kognitionswissenschaften (z.B. Roth 1987) seit rund 50 Jahren ein wesentliches Forschungsfeld dar (vgl. Elverfeldt 2010, Egner 2006, 2008). Diesem Forschungsfeld ist seither über die Fächergrenzen hinweg derart intensiv nachgegangen worden, dass inzwischen sogar von dem Paradigma der Selbstorganisation gesprochen werden kann, unter dem ein Großteil der aktuellen Forschung eingeordnet werden kann (vgl. Jantsch 1979, 1980). Trotz der vielfältigen und teilweise bahnbrechenden Forschung zu diesem Thema ist jedoch
bis heute weitgehend ungeklärt, wie genau Selbstorganisation funktioniert. Anders
ausgedrückt: Welches sind die Kriterien, anhand derer selbstorganisierende Systeme
unzweifelhaft erkennbar sind? Unter Laborbedingungen können beispielsweise die
Rahmenbedingungen noch relativ restriktiv gehalten werden, wodurch mathematische
Lösungen dieser Frage möglich sind. Bei natürlichen Systemen ist dies aufgrund der schieren Menge an Parametern und deren komplizierte und ggf. komplexe Vernetzung schlicht unmöglich. Für die Geographie stellt sich diese Frage der Kriterien und Messbarkeit von Selbstorganisation jenseits von Laborbedingungen in besonderem Maße, da zwar unzählige Methoden zur Datenerhebung existieren und damit auch verhältnismäßig lange Datenreihen
erzeugt werden, jedoch nach wie vor unklar ist, welche Daten überhaupt und wie oft und wie
detailliert erhoben werden müssen, damit Selbstorganisation nachgewiesen werden kann.
Aus den obigen Ausführungen wird deutlich, dass eine wesentliche Grundvoraussetzung der
Erforschung von selbstorganisierenden natürlichen Systemen bisher nicht gegeben ist: Wie lassen sich selbstorganisierende von fremdorganisierten Systemen unterscheiden? Und wenn es sich um ein selbstorganisierendes System handelt, welche Paramater müssen dann erhoben werden, um den Systemzustand näher beschreiben zu können? Trotz dieser theoretisch
anmutenden Fragestellung, ist dies von höchster Relevanz für angewandte Forschungsvorhaben. Denn von der Frage, ob sich ein System selbstorganisiert verhält, ist (SOCRIT)
Self-organisation in natural systems: Criteria and measurability Dr. Kirsten v. Elverfeldt
nicht zuletzt abhängig, ob und wenn ja, inwieweit ein System gesteuert und in seinem
Verhalten vorhergesagt werden kann. Selbstorganisierende Systeme verhalten sich höchst spezifisch, mit der Konsequenz, dass ein und dieselbe Maßnahme zu einem Zeitpunkt und in
einem System erfolgreich ist, zu einem anderen Zeitpunkt oder in einem anderen System
jedoch zu kontraproduktiven Nebenerscheinungen führt. Diese kritischen Systemzustände
anhand von Kriterien erkennen zu können, ist somit unabdingbar für Versuche des System-
Managements (auch im Sinne eines adaptiven Managements und von Governance-Ansätzen).
Der Antrag an den FWF wird die Finanzierung von zwei Dissertantenstellen im Beschäftigungsausmaß von jeweils 75% (30h/Monat) mit den damit verbundenen weiteren
Kosten für Reisen, Literatur, Kongressteilnahmen und der Einladung von einschlägigen Kolleginnen und Kollegen umfassen. |